Nicht in Seattle

Reisen, Leben und der tägliche Wahnsinn – ein privater Blog

🇯🇵 Japan: Auffälligkeiten und Besonderheiten

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Omikuji enthalten Wahrsagungen. Sollten diese schlecht ausfallen, werden sie für gewöhnlich an Zweige geknotet, damit das Unglück dort verweilt.

Während meiner letzten Urlaube habe ich angefangen, mir Dinge aus dem Alltag aufzuschreiben, die mich fasziniert oder erstaunt haben, quasi als Ersatz für ein ausführliches Reisetagebuch. Ich finde ja, dass es die kleinen Details sind, die ein Erlebnis so besonders machen. Damit davon auch mal was in diesen Blog zurückfließt, fangen wir heute mit dem jüngsten Urlaub an. Es folgt eine nicht kurze Liste mit subjektiven, unstrukturierten, stichpunktartigen und ausführlichen Eindrücken aus… Japan! 🇯🇵

Es waren zwar nur zwei Wochen im November, aber die reichten schon dicke aus, um mich danach gedanklich monatelang zu beschäftigen. Die erste Woche ging es nach Tokyo, die zweite nach Kyōto, jeweils mit Tagesausflügen nach Fujiyoshida, Nikkō, Nara und Koyasan. Kleiner Disclaimer: Vom richtig ländlichen Leben haben wir also nicht so viel mitbekommen. 😉 Hier soll es aber nicht um ausführliche Reiseberichte der Städtetrips und Ausflüge gehen, sondern um das, was man so zwischen den Zeilen erlebt.

Freundlichkeit, Höflichkeit und das Gemeinwohl

In Japan haben der respektvolle Umgang untereinander und das Handeln zum Wohle der Gemeinheit einen hohen Stellenwert. Unsere Begegnungen waren stets höflich aber gleichzeitig nicht aufdringlich. Bei Orientierungslosigkeit wird einem meistens nach bestem Wissen und Gewissen weitergeholfen. Auch wenn ich schon gehört habe, dass in Japan einem lieber falsch als gar nicht geholfen wird, ist uns das zum Glück nicht passiert. Überhaupt waren die Menschen unerwartet zuvorkommend: In einem Supermarkt beispielsweise hat mich eine Kassiererin darauf hingewiesen, dass die Kekse, die ich kaufen wollte, nur noch ein paar Tage haltbar sind, weil sie davon ausging, dass ich diese als Geschenk für Weihnachten mitnehmen wollte. An einem Bahnautomat hat uns ein älterer Japaner einfach ein Ticket gekauft (obwohl wir es gar nicht gebraucht hätten). Dazu kommen viele Kleinigkeiten im Alltag: Menschen tragen z. B. Atemschutzmasken, um andere vor Erkrankung zu schützen, und viele Grundbedürfnisse sind kostenlos (Wasser im Restaurant, öffentliche Toiletten, Tee im Hotel, …).

Auffällig ist, dass es in der Öffentlichkeit sehr menschelt, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Man begegnet häufig pflichtbewussten, uniformierten Menschen, die Tätigkeiten nachgehen, die es bei uns nicht (mehr) gibt, wie z. B. Einweiser für Parkhäuser mit Headset und Lautsprecher, Menschen mit Warnweste und Leuchtstab, die die Menschenmassen über die Ampel-Kreuzungen leiten oder daran hindern, einen Bahnübergang zu betreten, Teams an Bahnstationen, die als Ansprechpartner für Verirrte zur Verfügung stehen, Bewacher von Toren, etc.

Natürlich darf man hier nicht Freundlichkeit mit Höflichkeit verwechseln, man merkt schon, wenn das eine oder das andere überwiegt. Es ist auch nicht so, dass sich alle jederzeit an Etikette und Regeln halten, wie man vielleicht durch diverse Social-Media-Posts denken könnte.

Dass Japaner sich dem Gemeinwohl verpflichtet sehen, hat einen faden Beigeschmack. So ist einerseits die Tötungsrate in Japan im weltweiten Vergleich mit 0,3 (Tötungsdelikte pro 100.000 Einwohner) extrem gering (Deutschland: 1,2), andererseits ist die Suizidrate im Vergleich mit 23,1 (Suizide pro 100.000 Einwohner) extrem hoch (Deutschland: 13,0).

Kawaii

Während Erwachsenwerden hier bedeutet, kindliches Verhalten möglichst komplett abzulegen, hat Japan kein Problem damit, jung zu sein, und zeigt das bei jeder Gelegenheit. Das japanische Wort dafür ist Kawaii, was soviel heißt wie »niedlich«. Kawaii-Elemente finden sich überall, z. B. in der Bahn, auf Warnschildern, in Medien, Spielen, Geschäften, öffentlichen Einrichtungen, Banken, … Ich kann mir sogar vorstellen, dass der japanische Steuerbescheid kawaii ist. Europäer würden da erstmal skeptisch die Stirn runzeln. Auch wenn ich früher Hello Kitty gehasst habe, muss ich schon gestehen, dass die permanente Kawaii-Bombardierung mir oft ein Grinsen ins Gesicht geschnitzt hat.

Hygiene

Reinlichkeit und Hygiene sind in Japan sehr wichtig, was einem im Alltag überall auffällt:

  • Bei der klassischen Teezeremonie besteht gefühlt die Hälfte der Handlungen aus Reinigung; das Reinigungstuch für die Utensilien wird dabei mehrmals systematisch gefaltet.
  • Es gibt Situation, in denen man die Schuhe ausziehen (Tempel) oder wechseln muss (Badezimmer).
  • Im Restaurant werden anfangs feuchte Tücher gereicht und es gibt kleine Lätzchen für spritzigen Angelegenheiten, z. B. beim Tischgrill.
  • Man sieht sehr viele Menschen mit Atemschutzmasken. Wobei mir hier nicht ganz klar ist, ob es den Menschen wirklich noch um die potentielle Ansteckungsgefahr geht oder ob es manchmal nicht doch eher eine Bequemlichkeitssache ist (keine Lust sich zu rasieren oder Make-up aufzutragen, Ninja-Feeling etc.).
  • Die Straßen sind so sauber, da könnte man von essen, wirklich. So saubere Straßen habe ich in Millionen-Städten noch nie gesehen! Und das funktioniert, obwohl es so gut wie keine öffentlichen Mülleimer gibt. Sehr faszinierend, in Berlin ist es nämlich genau andersrum: Es gibt alle paar Meter einen Mülleimer und der Müll liegt trotzdem auf der Straße.
  • Irgendwo habe ich aufgeschnappt, dass Schulkinder ihre Schulen selbst putzen müssen, um Verantwortung für sich und andere zu erlernen. Der Grundgedanke unterscheidet sich schon deutlich von einem Ach, morgen kommt hier doch eh die städtische Reinigung vorbei, schon alles gehört.
  • Toiletten! Die bekommen ein eigenes Kapitel, siehe unten.
  • Verpackungen: Zum Thema Müll gibts unten auch ein eigenes Kapitel.
  • Was wäre Japan für ein Land, wenn es dort nicht auch die übliche Doppelmoral gäbe. So findet man z. B. in öffentlichen Toiletten selten Seife oder man niest sich gerne in Hand. Das würde einem aufgeklärten Europäer ja niemals passieren, da lernt man schließlich, sich in die Armbeuge zu niesen!

Japanische Toiletten

Japanische Toiletten sind der Wahnsinn. Kurz: Ich will so ein Ding haben! Solange man es nicht ausprobiert hat, wirkt es vielleicht merkwürdig, verspielt und unnötig. Aber ich kann euch sagen: Die ganzen Funktionen und Knöpfe sind ein wichtiger Evolutionsschritt für die Menschheit! Der beheizte Toilettensitz ist etwas, was ich zurück im kalten Deutschland schon oft vermisst habe. Der Reinigungsstrahl ist auf jeden Fall schneller und hygienischer als archaische Holzpappe. Gut, auf den Abfluss-Geräusch-Simulator kann man als selbstbewusster Mensch verzichten. Die LED-Unterbrillenbeleuchtung ist vielleicht auch eher ein Bonusfeature. Aber zum Glück gibts eine breite Auswahl an verschiedenen Modellen für jeden Geschmack, darunter welche mit integriertem Waschbecken oberhalb des Spühlkastens. Eigentlich auch naheliegend: Wenn man schon den Spülkasten mit Wasser volllaufen lässt, kann man es dabei genauso gut zum Hände-Waschen abgreifen.

Öffentliche Toiletten sind übrigens in der Regel sehr sauber und kostenlos!

Müll

Japan ist ein Plastikverpackungsland, was vermutlich mit dem o. g. Stellenwert von Hygiene zusammenhängt. Kann man etwas verpacken, wird es verpackt. Das nimmt manchmal ziemlich skurrile Züge an, wenn man z. B. sieht, dass Croissants, Äpfel, oder auch Tortenstücke (die aber trotzdem zu einer ganzen Torte zusammengelegt sind) einzeln in Plastikfolie verpackt sind. Geht man im Supermarkt mit seinem Einkauf zur Kasse, wird dort gerne doppelt oder manchmal auch dreifach in Plastiktüten eingepackt. Als aufgeklärter Berliner habe ich dem natürlich anfangs widerstanden und gesagt, dass ich keine Tüte brauche (No Bag, please!). Irgendwann habe ich allerdings resigniert aufgegeben, weil man im Alltag mit Plastiktüten nur so zugeworfen wird und es praktisch unmöglich ist, sich dem zu entziehen. Schaut man einmal versehentlich zu lange weg, ist der Einkauf schon in einer Tüte gelandet. Außerdem scheint das Tüten-Verpacken tief im Bezahl-System der Supermärkte verankert zu sein: Wird auf eine Tüte verzichtet, bekommt jede Ware stattdessen einen kleinen Aufkleber verpasst, damit die Angestellten erkennen können, was schon bezahlt wurde. Auch nicht viel besser. Immerhin kann man die Plastiktüten in Ermangelung öffentlicher Mülleimer als Mülltüten wiederverwenden (siehe Kapitel Hygiene).

Immerhin gibt es Anzeichen von Recycling: So findet man manchmal separate Mülleimer für Getränkeflaschen. Auch habe ich öfter gesehen, dass es Kombi-Mülleimer mit jeweils einem Fach für burnable und non burnable gibt: Ein interessantes Konzept, von dem ich hier bisher nur in der Theorie gelesen habe, was aber effektiver sein kann, als unsere komplexe Mülltrennung, bei der zwei Drittel des Recyclingmülls am Ende doch wieder in der Verbrennungsanlage landet. Ich habe interessehalber versucht, vergleichbare Statistiken zur Recyclingquote der beiden Länder zu finden, leider erfolglos. Immerhin bin ich auf einen Bericht der Weltbank aus dem Jahr 2012 gestoßen, der den Müllverbrauch pro Kopf weltweit vergleicht: Dort liegt Deutschland mit 2,11 kg Müllverbrauch pro Kopf pro Tag auf Platz 34 noch vor Japan mit 1,71 kg auf Platz 47.

Verhalten in der Öffentlichkeit

Auch wenn Reiseführer und Berichte gerne etwas anderes sagen: Für Menschen, die halbwegs okayes Englisch sprechen können, über einen gesunden Menschenverstand und vielleicht sogar eine Übersetzer-App verfügen, ist es wirklich nicht schwer sich zurecht zu finden. Bei Reisen in entfernte Länder merke ich immer wieder, dass diese Angst und Skepsis im Kopf absolut unbegründet ist, denn meistens kann man sich über wildes Gestikulieren genauso gut ausdrücken. Da fand ich es ehrlich gesagt fast schon schwieriger, mir in Frankreich mit gebrochenem Accent Circonflexe einen Croissant zu bestellen.

Nichtsdestotrotz gibt es ein paar Besonderheiten zu beachten:

  • Orientierungs-Karten an Tafeln oder auf dem Boden sind in Blickrichtung ausgerichtet, nicht nach Norden. Das ist einerseits super praktisch, wenn man sich mal daran gewöhnt hat, andererseits findet man diese Kartenausschnitte auf anderen Karten dann meistens nicht wieder, weil man sie nur verdreht kennt.
  • Die Englischkenntnisse der Menschen reichen in den Touristengebieten absolut aus, um sich gut zurechtzufinden. Nur einmal bin ich bei einer Bestellung grandios gescheitert, aber auch da eilte schnell eine Kollegin der errötenden Bedienung zu Hilfe.
  • Die Körpersprache unterscheidet sich in manchen Punkten schon deutlich von der hiesigen und ist auch relativ wichtig. Hier gibts ein paar Beispiele.
  • Sowohl in Tokyo als auch in Kyoto gab es, nun ja, wenig modische Ausnahmeerscheinungen. Sehr beliebt war der schwarze Anzug, gefolgt vom schwarzen Anzug und manchmal auch einem Anzug in schwarz.
  • Es gibt so gut wie keine öffentlichen Mülleimer.
  • Es gibt weniger Sitzgelegenheiten als bei uns, wo man alle paar Meter rasten kann. Vielleicht ist eine Erklärung, dass dort der Asian Squat sehr verbreitet ist (nennt sich hier Hocke und soll übrigens ziemlich gesund sein).
  • Raucher dürfen sich in Smoking Areas ihren Gelüsten hingeben, die so ähnlich aussehen wie rundum milchverglaste Bushaltestellen.
  • Man begegnet öfter arbeitenden Menschen in der Bahn, aber keiner von denen, die ich gesehen habe, hatte ein MacBook.
  • Vielleicht bin ich etwas Berlin-geschädigt, aber für eine 10-Millionen-Stadt läuft es in der Öffentlichkeit recht gesittet ab. Weder zwielichtige Dealer noch pöbelnde Fußballfans sind uns untergekommen.
  • Es gibt ü-ber-all Getränkeautomaten. Der Gipfel eines prächtigen Berges mitten in der Natur: Getränkeautomat. Eine einsame Straßen-Kreuzung auf dem stillen Pilgerpfad: Getränkeautomat. Ich bin ein großer Fan geworden. Die Dinger funktionieren super und erfreuen das durstige Gemüt. Anders als bei uns kann man übrigens nicht durch eine Scheibe in den Automaten hineinsehen, es ist lediglich oben eine Reihe Modellflaschen zu sehen oder die gesamte Front besteht aus einem Display. Ich kann mir vorstellen, dass das konstruktionstechnisch einige Vorteile hat. Zumindest knallt die Sonne dann nicht so rein.
  • Ach, Bargeld, wer braucht schon Bargeld. Wir bezahlen alles mit der Kreditkarte! Denkste. Nur in den seltensten Fällen wurden Kreditkarten akzeptiert, Japan ist ein noch schlimmeres Bargeldland als Deutschland. Im Bus gibt es z. B. ein Münzeinwurfloch, das man nur passend bezahlen darf. Zum Münzwechseln steht dann daneben ein separates Münzeinwurfloch bereit. Die privaten Bahngesellschaften bieten allerdings Guthabenkarten an (Suica/Pasmo), die abseits von Bussen und Bahnen auch in vielen Geschäften akzeptiert werden.
  • Aus Gestalter-Perspektive ist das öffentliche Schriftbild leider ziemlich überladen und chaotisch. Das liegt nicht zuletzt daran, dass es in Japan drei(!) Schriftsysteme gibt, die gleichzeitig im Einsatz sind (Kanji, Hiragana, Katakana).
  • Die Geschossbezeichnung ist einfacher. EG, 1. OG, 1. UG in Deutschland entsprechen in Japan 1F, 2F, 1BF (oder 1B). Sieht man draußen große Werbebanner am Hochhaus, ist meistens auch direkt die Geschossnummer mit angegeben, damit man nicht lange suchen muss.
  • Tendenziell hängt alles etwas tiefer. Vor allem im Hotel ist das auffällig (Tische, Waschbecken, Spiegel, Decken, …). Mit ein Grund dafür dürfte sein, dass man in Japan viele Tätigkeiten im Sitzen ausübt, wie z. B. das Duschen.

Essen

Hach, was soll ich da noch groß drüber schreiben… Das Essen ist durch die Bank weg leckerer und gesünder, als das was ich gewohnt bin. Außerdem findet man immer wieder nette Experimente, die man hier nicht so kennt, wie beispielsweise grüne Schokolade (durch Matcha-Zumischung) oder transparente Cola. Für Vegetarier ist es leider etwas schwieriger: Es gibt fast nichts ohne Fleisch. Kleine Anekdote: Ein Restaurant haben wir uns extra ausgesucht, weil die Gerichte so lecker fleischig aussahen, und tatsächlich hatten wir damit eines der seltenen vegetarischen Restaurants gefunden.

Die Restaurant-Preise sind im Vergleich recht günstig, Ramen gibts z. B. für ¥800 (6 €). Bier ist im Restaurant mit etwa ¥500 (4 €) relativ teuer. Noch günstiger bekommt man Mahlzeiten in den Kombinis, den kleinen Supermärkten, die durchgehend geöffnet haben. Dort wird einem das Essen sogar bei Bedarf aufgewärmt zum Direktverspeisen.

Man braucht übrigens keine Angst vor »ungewöhnlichem« Essen zu haben, das meiste ist für westliche Gewohnheiten kein Problem. Uns ist lediglich ein Restaurant untergekommen, wo fast das komplette Tier auf der Speisekarte stand (1. Magen, 2. Magen, Zunge, Innereien, etc.). Dank Google Übersetzer waren wir aber vorgewarnt, notfalls hätte man sicher auch nachfragen können. In einem anderen Restaurant habe ich mich auf Empfehlung eines Freundes hin an das laut Karte »lightly roasted locally traditional free land pedigree chicken« gewagt. Dabei handelt es sich quasi um rohes Hühnchen, welches nur am Rand leicht angebraten ist. Die Bedienung hat mich sogar sicherheitshalber darauf hingewiesen, dass es rohes Fleisch ist. Und was soll ich sagen… es war super lecker (Oishii!), saftig, wunderbar, und mein Magen hat sich nicht beschwert. Ein anderes Highlight war für mich Mitarashi Dango, ein einfacher Snack aus einer Art Reismehl-Kugeln, der an einem kleinen Holzspieß über Feuer erwärmt und mit Miso-Sauße bestrichen wird. 🤤

Besonderheiten im Restaurant

  • Japanisch-Kenntnisse sind zumindest in den Touristengegenden nicht nötig. Das Essen wird nämlich am Eingang naturgetreu als Modell präsentiert. (Realistische Essens-Attrappen sind auf jeden Fall ein typisches Japan-Kuriosum.) Falls es das nicht gibt, bekommt man meistens eine Speisekarte mit Bildern.
  • Es wird einem in der Regel ein Sitzplatz zugewiesen.
  • Es wird kostenlos Wasser bereitgestellt und stets nachgefüllt.
  • Zu Beginn werden feuchte Tücher gereicht.
  • Manchmal gibt es einen Knopf, um die Bedienung herbeizurufen.
  • Manchmal gibt es abgetrennte Raucherbereiche.
  • Das Essen wird nicht immer gleichzeitig serviert.
  • Bezahlt wird am Ende an der Kasse, das spart den aufwändigen Bezahlprozess hierzulande (Winken, Kellner kommt, Die Rechnung bitte…, Kellner geht, Kellner kommt, Bittesehr, die Rechnung, Wir würden gerne mit Karte zahlen, Kellner geht, Kellner kommt mit Lesegerät, Dankesehr, alle gehen).
  • Trinkgeld ist unüblich. Mehr noch: Weil Trinkgeld als Anerkennung guter Leistungen gedacht ist und das gleichzeitig bedeutet, dass es auch schlechte Leistungen geben kann, wird es oft als Beleidigung empfunden. In Japan ist guter Service nämlich eine Grundvoraussetzung. Auch interessant: Den Sinn und Unsinn von Trinkgeld hierzulande analysiert dieser Artikel.

Einkaufen

Supermärkte sind der reinste Overkill, dagegen ist ein Lidl im Ausverkauf das Paradies. Wohin man schaut sieht man Werbung, eine Begrenzung der Lautstärke nach oben scheint es nicht zu geben. Geht man von einem Regal zum anderen, übernimmt der nächste, noch lautere Lautsprecher. (Übertroffen wird das ganze nur noch von diesen Spielhallen, wo ich mich wegen Tinitus-Gefahr nicht reingetraut habe.) Der zur Verfügung stehende Platz ist dabei minimal. Ich bin ja recht schmal gebaut, aber bei den engen Regalgassen bekomme ich Anflüge von Klaustrophobie. Beim Umdrehen kann man versehentlich ein ganzes Regal mit dem Rucksack abräumen (ist zum Glück nicht passiert, aber ich war mehrmals kurz davor).

Ok, ganz so schlimm ist es nicht überall. In Kombinis ist die Atmosphäre in der Regel recht chillig, in den großen Einkaufszentren kann man auch ganz entspannt bummeln. Aber es gibt sie nicht selten, diese Lautstärkehöllen der Hölle.

Dafür wird man in den Geschäften meistens in Ruhe gelassen, aufdringliche Verkäufer habe ich nicht erlebt. Man bekommt lediglich alle paar Minuten von allen Seiten lustige Brabbeleien zugeworfen, die, wie ich später gelernt habe, der Höflichkeit dienen und eigentlich komplett ignoriert werden können. Irgendwo habe ich gelesen, dass in Kombinis diese Brabbeleien sogar aus einem Handbuch stammen und auswendig gelernt werden müssen. Eigentlich gar nicht so unähnlich zu unserem Möchten Sie noch einen Kaffee zum Diesel? oder Haben Sie eine Payback-Karte?

Verkehr

  • Es gibt keine Fahrradwege. Sehr nervig, weil man als Fußgänger dauernd den Radfahrern ausweichen muss.
  • Alle Rolltreppen funktionieren! Und es gibt auch Minirolltreppen für 10 Stufen. Zum Vergleich: Rückreise, Zwischenstopp Flughafen Amsterdam, Rolltreppe kaputt…
  • Es fahren viele kleine platzsparende Kastenwägen herum. Eigentlich komisch, dass man die hier so selten sieht, da scheint eine Menge reinzupassen.

Bahn fahren (seufz)

  • Pünktlichkeit! Ja, uns ist auch mal ein Zug mit 6 Minuten Verspätung untergekommen, aber in der Regel kann man nach den Ab- und Einfahrtszeiten die Uhr stellen.
  • U-Bahn: Oh ja, es kann sehr voll werden. In der Regel mussten wir stehen. Es wird auch viel gedrängelt, aber so schlimm, wie in den Videos, wo die Bahnangestellten die Menschen in den Zug quetschen, war es dann doch nicht. Dafür war es immer noch angenehmer als in Berlin, weil die Menschen darauf bedacht sind, die anderen nicht zu stören. Telefonate sind z. B. tabu.
  • Bei Fernzügen gibt es Wagen mit reservierten Sitzplätzen und welche mit freier Sitzplatzwahl. Das hierzulande bekannte Chaos bei defekter Sitzplatzreservierungsanzeige (was für ein Wort) kann dort also gar nicht erst auftreten (Entschuldigen Sie, aber ich habe hier reserviert!Ach wirklich? Kann ich das mal sehen? ☠️). Allerdings gibt es auch ganze Züge, in die man nur mit Reservierung einsteigen darf. Wie man die Reservation-only-Züge von den gemischten unterscheidet, haben wir nicht herausgefunden. 🤷‍♂️
  • In Wagen mit Reservierung geht der Schaffner rum und scheucht falsch sitzende Menschen weg, sehr praktisch.
  • Im Shinkansen (Japans High-Tech-Schnellzug): Die Sitzbänke werden vor Abfahrt in Fahrtrichtung gedreht, es gibt Raucherkabinen in manchen Wagen, das WLAN funktioniert und der Schaffner verbeugt sich jedes Mal vor den Fahrgästen, wenn er den Raum verlässt (kein Witz).
  • Die Züge stehen öfter mehrere Minuten vor Abfahrt direkt am Bahnsteig, so dass man also bequem im Zug warten kann.
  • Am Bahnsteig gibt es Markierungen für die Ein- und Ausstiege mit Hinweis auf die Wagen-Art (reserviert ja/nein). Diese sind als kleine Wartegassen zum Anstellen aufgezeichnet, damit sich die ein- und aussteigenden Leute nicht über den Haufen rennen.
  • Einfahrt in umgekehrter Wagenreihung? Hahaha, gibts nicht… Dann würden die Markierungen am Bahnsteig ja nicht mehr passen!
  • Einmal hat eine Omi ihren Ausstieg verpasst. Der Schaffner hat ihr daraufhin freundlich erklärt, dass sie einfach bei der nächsten Station aussteigen und zurückfahren kann. Das ganze funktioniert, so wie ich das verstanden habe, ohne Zusatzkosten, weil nur die Entfernung zwischen Start- und Endbahnhof berechnet wird. Dazu muss man sagen, dass alle Bahnhöfe mit Bezahl-Schranken ausgestattet sind, wovon ich ja generell aus mehreren Gründen ziemlich angetan bin.
  • Beim Ein- und Ausstieg gibt es am Bahnsteig unterschiedliche akustische Erlebnisse: Manchmal hört man ein lautes Gebimmel, manchmal schöne Melodien oder auch zwischendurch einfach mal Vogelgezwitscher. Jeder Bahnhof soll eine eigene charakteristische Melodie haben und damit beruhigend auf die gestressten Bahnfahrer wirken.
  • [An dieser Stelle 99 Rants gegen die Deutsche Bahn einfügen, warum das bei uns alles so steinzeitlich ist…]
  • Ok, eine Sache habe ich gefunden, die die Deutsche Bahn besser macht… Bei der DB kann man Sitzplatzreservierungen online oder via App buchen. In Japan muss man dafür zu einem Service-Schalter gehen und sich einen Zettel mit Stempel holen. Ich meine, es gibt auch Automaten, wo man das machen kann, dann allerdings nur auf japanisch. Es kann aber auch sein, dass ich hier Quark erzähle und das nur für ausländische Touristen so ist.
  • Abschließend noch ein kleiner Tipp: Man sollte sich nicht komplett auf Google Maps verlassen, denn dort sind nicht alle Bahngesellschaften enthalten. Besser: HyperDia.com

Unterm Strich

Insgesamt muss ich sagen, dass ich mir einen größeren Kulturschock vorgestellt habe. Das kann mit daran liegen, dass die Erwartungsmesslatte ziemlich weit oben hing und ich gleichzeitig halbwegs vorbereitet war (übrigens, falls sich jemand dafür interessiert: das Buch Japan spielend in 60 Schritten (Partnerlink) kann ich sehr empfehlen). Auf den zweiten Blick ist es in Japan nicht wirklich so grundlegend anders als in Deutschland. Es handelt sich halt genauso um eine fortschrittliche Industrienation mit ähnlicher Struktur — die Unterschiede merkt man im Detail, dort dann aber richtig! Viele der japanischen Eigenheiten sind faszinierend und erfrischend, erfrischend wie eine Flasche Ramune. Es gab unglaubliche Erlebnisse und tolle Begegnungen. Ich denke, das wird auf jeden Fall nicht mein letzter Japan-Besuch gewesen sein.

Drei Kommentare

  1. Interessanter Bericht!

    Aber wofür sind denn Abfluss-Geräusch-Simulatoren gut? Sind die normalen Geräusche so leise? Oder werden schönere Geräusche drüber gespielt?

    PS: Ein anderer, ganz interessanter Einblick in die japanische Gesellschaft ist die Serie “Terrace House”, die wir letztens auf Netflix entdeckt haben. Eine art japanisches Big Brother, das aber das genaue Gegenteil vom normalen Big Brother ist was Aufmachung (alles super schön und stilvoll, jeder entscheidet selber wann er das Haus verlässt, es gibt keine Aufgaben) und Drama (es gibt keins, alle sind super höflich :D) angeht.
    Jedenfalls ganz witzig zu sehen wie die sich so im Alltag verhalten.

  2. Sehr schoener Artikel!

    Kleiner Hinweis: Die Automaten, welche (unter anderem) auch Platzkarten ausspucken, koennen auch immer auf Englisch umgestellt werden.

    Uebrigens gibt es auch online-Platzkartenreservierung. Ich habe diese aber noch nie selbst in Anspruch genommen. Geht auch offenbar nur in Verbindung mit einem Rail-Pass. Ausserdem ist es auch nicht auf allen Linien verfuegbar. (Einfach mal mit Google suchen…)

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