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Bike-Sharing-Anbieter in Berlin

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Aufgereiht und abfahrbereit: Die Pedelecs von Lime Bike

Es ist jetzt schon ein paar Jahre her, dass ich mir die Car-Sharing-Szene in Berlin angeschaut habe. Viel ist davon leider nicht übrig geblieben, einige Anbieter mussten aufgeben. So lukrativ wie vorher angenommen, scheint das Geschäft wohl doch nicht zu sein. Ich persönlich nutze Car-Sharing inzwischen auch nur noch sehr selten, z. B. um nach Brandenburg etwas weiter raus zu fahren.

Viel interessanter ist da gerade der große Bike-Sharing-Boom, der hier Ende 2017 seinen Anfang genommen hat, als Obike und Mobike tausende Fahrräder in Berlin abgekippt haben. Die Idee des sogenannten Free-Floating-Modells ist einfach: Es soll immer ein Fahrrad in unmittelbarer Nähe sein, unabhängig von zentralen Stationen. Gesucht, gebucht und abgerechnet wird bequem per App. Am Ende der Fahrt schließt man das Fahrrad einfach ab und lässt es stehen. Das ganze kommt aber nicht immer gut an: Die Fahrräder blockieren gerne mal die Wege und bei einigen Anbietern scheint Wartung ein Fremdwort zu sein. Das eine oder andere Rad findet man im Gebüsch oder in der Spree wieder. In der Politik wird über Regulierung diskutiert und so weiter und so fort. Wie bei so vielem gibt es hier also auch zwei Seiten des Medaillons.

Jan-Keno Janssen von der c’t hat vor ein paar Tagen einen Testbericht veröffentlicht, in dem er alle acht Bike-Sharing-Angebote in Berlin vergleicht. Im Teaser gibts einen Videobericht dazu, den vollständigen Artikel bekommt ihr hier (kostenpflichtig). Falls euch das Thema interessiert, unbedingt reinschauen! Der Test hat mich motiviert, mich an einem Wochenende mal selbst auf ein paar Leih-Räder zu schwingen und zu schauen, ob das was für mich ist. Ich habe zwar ein eigenes Fahrrad, aber erstens ist das so alt und schwer, dass es echt keinen Spaß mehr macht – es bleibt eigentlich immer zuhause stehen. Neulich musste ich es putzen, damit der Hausmeister nicht versehentlich entsorgt. Zweitens hat es schon so seine Vorteile, wenn man ein Leih-Rad einfach irgendwo stehen lassen kann, um dann unbeschwert weiterzuziehen. Der Hauptgrund war aber eigentlich, dass ich mal unbedingt ein E-Bike aka Pedelec ausprobieren wollte. 😎

So, jetzt aber zum Ergebnis. Ich gehe hauptsächlich auf das Fahrgefühl, die Nutzbarkeit und die Kosten ein. Für mehr Details schaut euch einfach die Links oben an. Los geht’s mit…

Call a Bike aka Lidl Bike

Nicht hübsch, fährt sich aber gut

Call a Bike ist ein Angebot der Deutschen Bahn, welches in Hamburg als StadtRAD bekannt ist und in Berlin eben als Lidl Bike. Call a Bike gibt es schon seit vielen Jahren und ist eigentlich ein stationsabhängiges Angebot, heißt die Fahrräder müssen an Stationen abgeholt und abgegeben werden. In Berlin experimentiert man aber seit ein paar Jahren mit dem Free-Floating-Modell.

Die App ist etwas altbacken und umständlich. Entweder man muss zum Entleihen die Rad-Nummer eintippen oder aus einer Liste von Nummern die Rad-Nummer auswählen. Dabei kann es aber vorkommen, dass das Rad, vor dem man gerade steht, nicht in der Liste auftaucht. Und dann bemerkt man irgendwann, dass das Rad schon verliehen ist und man sich umsonst die Mühe gemacht hat. Dafür läuft die App nicht im Hintergrund weiter. Außerdem ist theoretisch wohl auch eine Ausleihe ohne App möglich, das habe ich aber nie ausprobiert.

Das Fahrrad ist solide, vielleicht etwas schwer, fährt sich aber sehr angenehm. Es gibt eine 7-Gang-Nexus-Schaltung, luftgefüllte Reifen, Speichen, Nabendynamo, halt alles, was man von einem klassischen Fahrrad so erwartet. Die nette Gepäckablage mit kleinen Spanngurten bietet Sporttaschen, Rucksäcken oder ähnlichem ausreichend Platz und man muss sich keine Sorgen machen, dass da was rausfällt. Der Sattel ist mit einem Standard-Schnellspanner versehen, das ist etwas fummelig. Dafür hat die Sattelstütze nummerierte Höhenmarkierungen, so dass man die passende Höhe direkt finden kann. Großer Pluspunkt! Es gibt schöneres, als den Sattel einzustellen, aufzusteigen, 20 Meter zu fahren, abzusteigen und den Sattel neu einstellen zu müssen.

Abzug gibts beim Preismodell: Es könnte komplizierter nicht sein… Es gibt zwei Tarife, den Basis-Tarif und den Komfort-Tarif. Beide verlangen eine Jahresgebühr. Im Basis-Tarif sind es drei Euro, im Komfort-Tarif etwas mehr. Letzterer wäre eher für Vielfahrer geeignet. Aber bleiben wir mal beim Basis-Tarif: Die ersten 30 Minuten kosten 1,50 €, danach wirds günstiger mit 1 € pro 30 Minuten. Bis 24 Stunden greift eine Deckelung bei 15,50 €. Gibt man das Rad an einer Call-a-Bike-Station zurück, erhält man eine Gutschrift von 0,50 €. Aber: Diese Preise gelten nur für Lidl Bike in Berlin, in anderen Städten sieht es anders aus!

Last but not least: Der Geschäftsbereich ist schön groß und umfasst quasi exakt den S-Bahn-Ring. Die Räder werden regelmäßig gewartet und machen einen guten Eindruck.

Mobike

Variante 1 ohne Gangschaltung und mit Vollgummireifen

Mobike ist einer der Kandidaten aus Fernost, genauer gesagt aus China, die sich in den letzten Monaten in Berlin verbreitet haben. Ich habe bisher einen großen Bogen um die Räder gemacht, weil nicht so ganz klar ist, wie der Anbieter mit dem Datenschutz umgeht.

Die App arbeitet nämlich mit einem Scoring-System; das heißt, man kann für bestimmte Aktionen Status-Punkte sammeln und bekommt bei Fehlverhalten welche abgezogen. Ein Vergleich mit dem Social-Credits-System in China drängt sich quasi auf. Ansonsten ist die App gut benutzbar: Möchte man ein Rad entleihen, scannt man nur den QR-Code des Fahrrads ein und das Schloss öffnet sich. Ich hatte aber hier und da Probleme mit der korrekten Ortung innerhalb der App. Während der Nutzung bleibt die App im Hintergrund aktiv und zehrt somit vermutlich am Akku.

Kommen wir zum Rad selbst: Die Herstellungskosten sollen recht gering sein und das sieht und spürt man deutlich. Der Look des Rads ist schlank und minimalistisch, das gleiche gilt für die Ausstattung. Der Sattel ist auch in der maximalen Höhe viel zu niedrig. Ich bin mit meinen fast 1,80 Metern nicht der größte, aber nach 20 Metern Fahrt hatte ich schon keine Lust mehr. Ich strampelte wie ein Irrer und fühlte mich wie ein Affe auf dem Schleifstein. Hinzu kommt, dass die Reifen aus einem Vollgummi-Material bestehen und auf starre Alufelgen aufgespannt sind. Sprich: Das Rad hat einen Rollwiderstand und eine Federung wie eine Waschmaschine. Eine Gangschaltung gibt es nicht. Dem Körbchen vorne am Lenker würde ich nur kleinere Taschen anvertrauen. Kleiner Pluspunkt: Einige Räder bieten ein nettes »Hydraulik«-System in der Sattelstütze, mit dem man den Sattel sehr einfach und schnell einstellen kann.

Variante 2 mit 3-Gang-Schaltung und größerer maximaler Sattelhöhe

Seit noch nicht allzu langer Zeit gibt es immerhin ein zweites Modell, welches ein paar Punkte ein bisschen besser macht: Es gibt eine 3-Gang-Schaltung und der Sattel lässt sich etwas höher einstellen. Aber auch hier fehlen mir noch ein paar Zentimeter nach oben. Das Fahrgefühl bleibt ähnlich schlimm, man kommt nur schwer vom Fleck. Außerdem kostet diese Variante doppelt so viel wie die einfache.

Zur Bezahlung muss man sein Konto erst aufladen mit einem Mindestbetrag von 5 €. Mit dem einfachen Modell kosten 20 Minuten 0,50 €, mit dem Gangschaltungs-Modell 1 €. Preislich ist Mobike von den drei Anbietern hier also am günstigsten.

Der Geschäftsbereich umfasst grob den S-Bahn-Ring, ist aber hier und da etwas größer als der von Call a Bike. Wartung? Schwer zu sagen. Die Räder fliegen kreuz und quer durch die Stadt, sind aber auch nicht so einfach kaputt zu kriegen.

Lime Bike (E-Variante)

Hier gibts ein Akkupack anstelle eines Gepräckträgers

Lime Bike ist soweit ich weiß seit 2018 in Berlin aktiv und hat seinen Sitz in Kalifornien. Neben einem Standard-Fahrrad gibt es ein Pedelec-Modell, welches natürlich viel interessanter ist. Das nicht-elektrifizierte Rad habe ich bisher nicht getestet.

Die App ist gut und einfach benutzbar. Entliehen wird wie bei Mobike über einen QR-Code. Mir ist es dabei zweimal passiert, dass die Entriegelung nicht ausgelöst wurde, so dass ich erneut eine Fahrt buchen musste. Immerhin wurde mir dabei kein Guthaben abgezogen. Apropos Guthaben: Man muss wie bei Mobike sein Guthaben aufladen mit einem Mindestbetrag von 5 €. Ähnlich wie bei Mobike bleibt die App im Hintergrund aktiv und saugt am Akku. Ein Wermutstropfen gegenüber der Android-App ist, dass unter iOS der Akku-Ladestand der Bikes nicht einsehbar ist. Um das Aufladen muss man sich übrigens nicht kümmern, das erledigt der Anbieter.

Das Rad leuchtet einem farbenfroh entgegen. Der Sattel lässt sich über einen Standard-Schnellspanner einstellen. Am Lenker gibt es eine Smartphone-Halterung und ein Körbchen, welches recht viel Platz bietet. Jetzt aber zum wichtigsten, dem Fahrgefühl: Der erste Eindruck war ein »Wow!« Es macht jede Menge Spaß, ohne große Anstrengung durch die Stadt zu radeln. Die Beschleunigung aus dem Stand heraus ist deutlich und ungewohnt. Man muss schon richtig aufpassen, dass man niemandem hinten reinfährt. Einstellmöglichkeiten zur Motorunterstützung hat man übrigens keine, das ganze läuft automatisch ab. Ab einer gewissen Geschwindigkeit lässt die Motorunterstützung nach. Wenn man also richtig schnell sein will, muss man ordentlich strampeln, denn das Fahrrad wiegt so einiges. Eine Gangschaltung gibt es nicht, ist aber wie ich finde bei dem Modell auch nicht nötig.

An einem anderen Tag bin ich dann eine zweite Runde mit dem Lime Bike gefahren und meine Euphorie hat sich erst mal etwas gelegt. Mir ist nämlich aufgefallen, dass Lime Bike wie Mobike auch Vollgummireifen verbaut. Das erklärt das etwas holprige Fahrgefühl. Immerhin gibt es hier im Gegensatz zu Mobike Speichen im Rad.

Die Kosten sind im Vergleich gewaltig: Das Pedelec kostet 1 € pro Fahrt und 0,15 € pro Minute. Damit bewegt es sich preislich schon im Bereich der E-Roller, die man sich hier ebenfalls leihen kann. Die Lime Bikes ohne »E« kosten übrigens 1 € pro 30 Minuten.

Der Geschäftsbereich ist deutlich größer als der der anderen und umfasst, soweit ich das erkennen kann, den kompletten Regierungsbezirk Berlin. Die Räder werden regelmäßig aufgeladen und gecheckt. Und die Aufstellermenschen haben anscheinend ein gutes Auge für Symmetrie (siehe Aufmacherbild).

Fazit

Für den Alltag kann ein geshartes Bike schon eine nette Sache sein. Man muss sich keine Sorgen machen, dass das Rad geklaut wird, der Reifen undicht ist oder die Verkabelung verrostet. Als typisches Anwendungsszenario sehe ich Wege in Kombination mit einer S-Bahn, weil die Strecke von und zur S-Bahn gerne mal recht weit sein kann. Oder wenn man mal spontan schnell wohin kommen muss und keine Öffis in der Nähe sind, denn die Räder sieht man wirklich sehr oft in der Stadt. Die Anbieter reden glaub ich gerne von der »letzten Meile«. Was mich dabei wundert, ist, dass es keine Abrechnung pro Minute gibt (außer beim E-Lime-Bike). Dann würde ich die Räder vielleicht noch öfter benutzen, denn für eine Strecke von irgendwo bis zur nächsten günstigen S-/U-/wasauchimmer-Haltestelle brauche ich in der Regel keine 20 oder 30 Minuten.

Schauen wir mal, wie es weitergeht. Vielleicht tut sich auch noch was bei der Konkurrenz: Byke (leider aktuell kleiner Geschäftsbereich) und Donkey Republic (leider etwas starres Zeitmodell) wären vielleicht noch Kandidaten für einen Test. Obike und ofo ziehen sich schon aus einigen Städten zurück, da ist also noch etwas Bewegung. Ich kann für mich jedenfalls festhalten: E-Bikes Pedelecs machen echt Spaß!

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